5. KAPITEL

Sie musste sich zusammenreißen, ihre Margarita nicht in einem Zug hinunterzustürzen. Sie saß zusammen mit T.J. in einem angesagten Texmex-Restaurant.

»Geht es dir gut?«, fragte T.J.

»Nicht wirklich«, gab sie zu. »Ich glaube nicht, dass das hier eine gute Idee ist.«

»Das Restaurant?«

»Die Verabredung.«

»Oh. Weil ich dich bis jetzt bereits so gelangweilt habe, dass du dir am liebsten den Arm abbeißen würdest, um mir zu entkommen?«

Vor drei Stunden hatte sie ihren fürchterlichen Zusammenstoß mit Mitch gehabt. Sie plagte sich mit ihrem Halbbruder herum, der versuchte, ihr Lebenswerk zu zerstören; mit ihrem Exfreund, der dachte, er wäre der Vater ihres Kindes, und mit einer ganzen Menge anderer ungelöster Gefühle rund um diesen Exfreund. Und während ein ganz bezaubernder Mann sie zum Dinner ausführte, konnte sie nicht anders, als sich zu wünschen, er wäre jemand anderes.

»Du hast mich nicht gelangweilt.«

»Das kommt schon noch; gib mir noch ein bisschen Zeit.« Sie versuchte zu lächeln. »Es liegt nicht an dir. Ich bin einfach noch nicht bereit für ... das hier. Das ganze Mann-Frau- Ding.«

»Miteinander ausgehen?«

»Ja, genau.«

»Es ist einige Jahre her, dass dein Ehemann gestorben ist.«

»Soll heißen, ich müsste bereit sein, weiterzumachen? Ich weiß. Bin ich auch. Es liegt nicht an Ray. Mein Leben ist nur im Moment so ... kompliziert.«

»Hast du dich in eine Frau verliebt?«

Sie lachte. »Nein, aber danke der Nachfrage.«

Er beugte sich vor. »Was dann? Ich habe dir gesagt, dass ich dich wunderschön finde. Und Gott weiß, ich bin ein verdammt toller Kerl. Reich. Gut aussehend. Charmant. Was kann man daran denn nicht mögen?«

»Bescheiden. Du hast >bescheiden< vergessen.«

»Ich mag es, die Leute einige meiner besseren Eigenschaften selber entdecken zu lassen.«

Sie schaute in seine blauen Augen und wünschte, etwas zu empfinden. Einen Funken. Ein Flüstern. Irgendetwas. Er sah so gut aus, wie er behauptet hatte, also wieso ließ sie das völlig kalt?

»Falls du dir Gedanken machst, nicht mehr zu wissen, wie das mit den Verabredungen geht, dann mach dir keinen Kopf«, unterbrach er ihre Gedanken. »Es ist wie Fahrradfahren, man verlernt es nicht. Wir stellen uns gegenseitig einige Fragen, unterhalten uns, ich bezahle das Essen, und du lässt dich von mir am Ende des Abends küssen.«

Küssen? Dafür war sie definitiv noch nicht bereit. Zumindest nicht mit irgendjemandem außer Mitch. »Bei dir klingt das so einfach.«

»Das ist es auch. Ich sag dir was: Wenn du merkst, dass du nicht weißt, was als Nächstes zu tun ist, sag mir einfach Bescheid. Ich helf dir dann.«

Warum konnte Mitch nicht so sein? Lustig. Angenehme Gesellschaft. Er war mal so gewesen, vor vielen Jahren. Doch jetzt war alles anders.

»Bleib«, sagte er und berührte ihre Wange leicht mit dem Handrücken. »Wenigstens bis nach der Vorspeise. Ich will die mit Avocado gefüllten Frühlingsrollen, und wenn der Teller kommt und ich hier nur noch ganz alleine am Tisch sitze, wird jeder Mitleid mit mir haben.«

»Okay, ich bleibe.«

»Gut. Und nur damit du es weißt: Egal, wie sehr du mich auch unter Druck setzt, wir werden heute Nacht keinen Sex miteinander haben. Ich meine es ernst. Auch wenn du bettelst, ich gebe nicht nach. Tja, so bin ich nun mal.«

Sie spürte, wie ein wenig der Spannung von ihr abfiel. »Damit kann ich leben.«

Er zuckte gespielt zusammen. »Könntest du nicht wenigstens so tun, als ob du enttäuscht wärst?«

»Oh. das bin ich. Innerlich.«

»Ich wünschte, das wäre wahr. Nun gut, lass uns mit der Unterhaltung anfangen. Wir sprechen über mich, weil das eines meiner bevorzugten Themen ist.«

»Ich kann es kaum erwarten, alles über dich zu erfahren.«

»Ich bin hier in der Gegend aufgewachsen. Tatsächlich bin ich sogar mit deiner Schwester Lexi zusammen auf die Highschool gegangen.«

»Ich glaube, das wusste ich.«

»Wir sind ein paarmal miteinander ausgegangen. Ich hab versucht, zum Zug zu kommen, woraufhin sie versucht hat, aus mir einen Eunuchen zu machen.«

Skye lachte. »Sie ist eine Titan. Das muss man respektieren.«

»Das habe ich. Des Weiteren habe ich Football gespielt und war darin so gut, dass ich praktisch ein Gott war. Wir kennen sehr wahrscheinlich viele gleiche Leute.« Er zählte ein paar Namen auf. Einige kannte sie, andere nicht.

»Oh ja, und natürlich Mitch Cassidy. Liegt seine Farm nicht direkt neben Glory‘s Gate? Er war in meiner Klasse.«

Skye versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. »Ich kannte Mitch. Wir waren, äh, einige Zeit zusammen. Ist schon Jahre her. Bevor ich geheiratet habe - offensichtlich. Während der Ehe wäre es vielleicht doch etwas seltsam gewesen.«

T.J. lehnte sich zurück. »Der Ex, hm? War es was Ernstes?«

Skye nippte an ihrer Margarita und hoffte, dass ihre Stimme gleichgültig klingen würde. »Damals schon, aber wir waren beide noch ziemlich jung.«

T.J. schaute sie unverwandt an. »Das muss direkt vor seinem Weggang zur Navy gewesen sein.«

»Stimmt.«

»Du weißt, dass er zurück ist?«

Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ja. Wir sind uns schon ein paarmal über den Weg gelaufen. Er ist verwundet worden, scheint sich aber ganz gut zu erholen.«

»Gibt es etwas, was ich über Mitch und dich wissen sollte?«

»Nein, gar nichts. Das ist ewig lange her.«

»Gut. Denn ich hätte gerne, dass du mir eine Chance gibst, Skye. Ich glaube, wir könnten viel Spaß zusammen haben.«

Ihr Magen zog sich zusammen, aber nicht aus Vorfreude. Der Tequila machte sich bemerkbar, und sie konnte sich im Moment nicht vorstellen, etwas Essbares bei sich zu behalten. Doch keine ihrer Reaktionen war T.J.s Schuld. Wenn Mitch nicht zurückgekommen wäre, würde sie ihr Date jetzt genießen. Sie würde einfach so lange so tun, als würde es ihr Spaß machen, bis es ihr tatsächlich Spaß machte. Oder wenigstens ein bisschen gefiel.

»Ja, das glaube ich auch«, antwortete sie und erhob ihr Glas. »Auf dass wir es herausfinden.«

Mitch war noch nie zuvor in Glory‘s Gate gewesen. Er hatte schon die Ställe besucht - es war Skyes und sein liebster Ort für ihre Treffen gewesen. Er wusste, wie man im Schutz der Dunkelheit hineinkam und auch unentdeckt wieder verschwinden konnte. Aber er war noch nie die Stufen zur Haustür hinaufgegangen wie jemand, der eingeladen war.

Ein bisschen zu spät, dachte er und blieb einen Augenblick am Fuß der Treppe stehen.

»Geht es dir gut?«, fragte Fidela, als sie zu ihm aufschloss. In der Hand hielt sie einen bunten Beutel, in dem die Geburtstagsgeschenke für Erin steckten.

Er wusste, dass Fidela ihm gerne ihre Hilfe angeboten hätte, sich aber nicht traute. Es hatte nicht lange gedauert, bis sie herausgefunden hatte, dass man seinen Launen besser aus dem Weg ging, die dieser Tage immerzu knapp unter der Oberfläche brodelten, bereit, jederzeit auszubrechen. Es gab Augenblicke, in denen er den Menschen sah, der er geworden war, und das Ergebnis gefiel ihm überhaupt nicht. Aber hauptsächlich war er wütend auf die Welt, und er bemühte sich nicht, diese Wut zu verhehlen.

»Alles okay«, antwortete er mit zusammengebissenen Zähnen und betrat die erste Stufe.

Der Schmerz war noch erträglich, versprach aber bereits, schlimmer zu werden. Mitch versuchte, die Treppe gleichmäßig und ruhig anzugehen, konzentrierte sich immer nur auf die vor ihm liegende Stufe und ignorierte alles um sich herum. Als er endlich oben ankam, war ihm der Schweiß ausgebrochen, und er fühlte sich etwas schwindelig. Er wusste, dass Letzteres das Ergebnis des brennenden Feuers in seinem Bein war und bald wieder verschwinden würde.

Das Einzige, was zählte, war, Präsenz zu zeigen. Seine letzte Begegnung mit Skye - als sie ihm ihren Milchshake ins Gesicht gekippt hatte - hatte ihn an den Zweck seines Daseins erinnert: sie auf jede nur erdenkliche Art niederzumachen. Zu Erins Geburtstagsparty zu gehen war nur der nächste logische Schritt in seinem Plan.

Sie traten an die große Eingangstür. Fidela blieb an seiner Seite, ohne ihn zu berühren, aber ihn dennoch mental bei jedem Schritt unterstützend. Er konnte ihre Liebe und Sorge fühlen und zog Stärke daraus.

Die Tür wurde geöffnet, und Erin stürmte heraus.

Sie trug Jeans und ein pinkfarbenes T-Shirt. Eine Tiara mit dem Schriftzug »Geburtstagsprinzessin« krönte ihren Kopf. Um die Schultern hatte sie eine lilafarbene Boa geschlungen.

»Du bist gekommen!«, rief sie entzückt. »Ich wusste, dass du kommst, und nun bist du wirklich da!«

Sie stürzte auf Fidela zu und umarmte sie ganz fest, dann drehte sie sich zu Mitch und tat das Gleiche.

Sie war klein und schmal und vielleicht sein Kind. Die Gefühle rasten in einer solchen Geschwindigkeit durch seinen Körper, dass er sie nicht ausmachen konnte. Trotzdem wusste er, dass es alles ändern würde, wenn er eine Tochter hätte. Es würde ihn als Mensch neu definieren und seinem Leben einen Sinn geben. Er hätte endlich eine Bedeutung, wenn er ihr Vater wäre.

Aber bevor er sich in dem Augenblick verlieren konnte, trat Erin einen Schritt zurück und grinste ihn an.

»Es gibt ganz viel zu essen. Alle meine Lieblingsgerichte und noch andere Sachen, von denen Mom meint, wir brauchen sie für die Erwachsenen. Und die Torte ist so groß!« Sie klatschte vor Begeisterung in die Hände. »Komm, ich zeig sie dir.« Sie umarmte ihn erneut. »Du bist wirklich gekommen.«

»Das hätte ich um nichts in der Welt verpasst.«

Sie schaute zu ihm auf. »Du bist mein Held.«

Plötzlich fiel es ihm schwer, zu schlucken. »Na ja, also, herzlichen Glückwunsch, Kleine.«

Sie nahm ihre Hände und zog Mitch und Fidela mit sich ins Haus. Sie gingen durch ein Foyer, das die Größe eines Supermarkts hatte. Er konnte gerade noch die hohen Decken, eine breite, im Bogen laufende Treppe und einen Flügel sehen, bevor Erin sie in einen beinahe normal großen Raum mit mehreren Sofas führte. An der Wand hing ein »Herzlichen Glückwunsch, Erin«-Banner, und Luftballons waren überall wo nur möglich festgebunden.

In dem Zimmer befanden sich ungefähr dreißig Leute, doch Mitch hatte keine Schwierigkeiten, Skye sofort unter ihnen auszumachen. Es war, als wären alle anderen in Schwarz- Weiß und sie die Einzige in Farbe.

Sie stand auf der anderen Seite des Raumes und unterhielt sich mit ihren Schwestern. Die Titan-Mädchen, dachte er und erinnerte sich daran, wie die Jungs in der Highschool über sie gesprochen hatten. Sie hatten damals als die idealen Frauen gegolten - etwas, was durchaus erstrebenswert gewesen war obwohl sie alle so unterschiedlich waren. Lexi, die kühle, blonde Schönheit. Izzy, die Wilde, mit einem Lächeln, das verriet, dass sie keine Gefangenen machte. Und Skye. Skye, die mit jeder Bewegung, mit jedem Wort Sinnlichkeit ausstrahlte. Sogar jetzt, trotz allem, wollte er sie an den Haaren in einen dunklen Raum zerren und seiner Fantasie freien Lauf lassen. Er wollte es so heiß und schnell, dass keiner von ihnen Luft holen konnte. Er wollte sie nehmen und betteln lassen. Er wollte ...

Ein großer blonder Mann gesellte sich zu den Schwestern. Er kam Mitch bekannt vor, doch er brauchte einen Moment, bis er ihm einen Namen zuordnen konnte.

T.J. Boone. Sie waren zusammen zur Highschool gegangen, hatten im gleichen Team Football gespielt. Bis er jetzt sah, dass T.J. seine Hand an Skyes Taille legte, hatte Mitch ihn immer gemocht.

Nun schaute Skye T.J. an und lächelte. Das Lächeln brannte in Mitchs Eingeweiden. Lexi sagte etwas und entschuldigte sich dann. Izzy betrachtete die beiden eine Weile, bevor sie kopfschüttelnd auch wegtrat. Bevor Mitch sich entschließen konnte, was er nun tun sollte, trat jemand an seine Seite.

»Du hast viel Zeit deines Lebens damit verbracht, das zu wollen, was du nicht haben kannst.«

Mitch drehte sich um und sah sich Jed Titan gegenüber.

»Ich begrüße den Soldaten, aber ich warne den Mann, dass Skye nichts für ihn ist.« Jed zuckte die Schultern. »So ist das hier nun mal. Sie ist eine Titan. Wie sehr du sie auch immer begehrst, du konntest sie damals nicht haben, und du wirst sie ganz sicher auch heute nicht kriegen. Nicht damit.« Er schoss einen scharfen Blick auf Mitchs fehlendes Bein.

Die Beleidigung machte Mitch nichts aus. Er hatte nie Angst vor Jed Titan gehabt, hatte die Macht des alten Mannes nie so gespürt wie andere.

»Ich sehe, Sie sind immer noch ein aufgeblasener alter Mann, der sich der Illusion hingibt, die Leute beeinflussen und einschüchtern zu können. Aber wissen Sie was? Ich kenne fünfzig Arten, Sie zu töten, ohne eine Spur zu hinterlassen.«

Jed nippte an seinem Drink. »Vielleicht. Aber da liegt auch der Unterschied zwischen uns, Mitch. Du würdest mich nicht töten, weil ich nichts getan habe, um den Tod zu verdienen. Ich hingegen bevorzuge es, meine Gegner zu erledigen, bevor sie eine gewisse Linie überschreiten. Das stellt sicher, dass ich gewinne.«

»Ein wohlgemeinter Rat? Das sieht Ihnen so gar nicht ähnlich.«

Jed lächelte. »Obwohl du versucht hast, meine Tochter zu heiraten, habe ich dich immer gemocht, Mitch. Du hast Rückgrat und Mut. Du hattest nicht ausreichend Beziehungen, um als Bewerber in Betracht zu kommen, aber das haben auch nur die wenigsten. Ich habe gehört, dass du unserem Land gut gedient hast. Lass mich eines aber trotzdem klarstellen: Wenn du dem, was ich will, im Weg stehst, werde ich dich und alles, was du liebst, in Schutt und Asche legen.«

Mitch lachte das erste Mal seit Tagen. »Sie können mir keine Angst machen.«

»Das muss ich auch nicht. Sieh dich um. Ich habe alles, Mitch. Geld, Macht, drei wunderschöne Töchter. Vor neun Jahren hat Skye mir zuliebe Ray geheiratet, und nun wird sie das Gleiche mit T.J. tun. Sie werden zauberhafte Kinder bekommen, meinst du nicht?«

Mitch konnte nicht anders, als zu Skye zu schauen, die sich immer noch mit T.J. unterhielt. »Das würde sie nicht tun.« Doch er glaubte seinen Worten selbst nicht.

»Oh, ich denke schon. Und wenn du sie ein bisschen kennen würdest, wüsstest du das auch. Skye ist eine sehr pflichtbewusste Tochter. Sie tut, was ich ihr sage. Du weißt, dass ich recht habe.« Jed klopfte ihm auf die Schulter. »Willkommen zu Hause, mein Sohn. Willkommen zu Hause.«

Mitch schaute dem alten Mann hinterher, der sich seinen Weg durch die Gäste bahnte. Er sagte sich, dass Jed in allem falschlag. Dass Skye stärker war und eigene Entscheidungen treffen konnte. Dann ließ er seinen Blick zurück zu ihr und T.J. wandern und wusste, dass er sich selbst etwas vormachte.

Die Feier ging bis in den Abend hinein. Gegen halb neun schlief Erin auf dem Sofa ein, und kurz nach zehn Uhr verließen die letzten Gäste das Haus.

Skye stand in der Küche und sagte sich, dass sie das Chaos am nächsten Morgen beseitigen würde. Es würde über Nacht schon nicht verschwinden, und was sie morgen nicht schaffte, würde vom Personal weggeräumt, das am Montag wieder zum Dienst erschien.

Mit einer Schüssel Tortillachips in der einen und einer Schale Salsa in der anderen Hand betrat Izzy den Raum. »Du musst mir unbedingt das Rezept geben.« Sie setzte die Schüsseln auf der Arbeitsplatte ab und tunkte einen Chip in die Soße. »Das ist die beste Salsa der Welt.«

»Du hast vor, selber Salsa zu machen?« Skye lachte. »Oh bitte.«

»Dafür muss man doch nicht kochen. Nur schneiden und rühren. Ich kann schneiden und rühren.«

»Wenn jemand dabei ist und aufpasst.«

»Immerhin.«

Skye schüttelte den Kopf. »Klar. Ich besorge dir das Rezept, und du machst Salsa für uns alle.«

»Einverstanden.«

Skye sammelte ein paar Gläser ein. Jetzt, wo Izzy mit ihr in der Küche war, verspürte sie den Drang, sich zu beschäftigen. Zwischen ihnen war immer noch nicht alles wieder ganz in Ordnung.

»T.J. hat sich gut amüsiert«, sagte Izzy und dippte einen weiteren Chip.

»Stimmt, das hat er. Ich war überrascht, dass er überhaupt vorbeikam«, gab Skye zu. Sie hatte ihn nicht eingeladen, also musste Jed dahinterstecken. »Erin mag ihn.« Nicht so sehr wie Mitch, aber T.J. hatte ja auch keinen Heldenstatus.

»T.J. kann sehr charmant sein«, merkte Izzy an und folgte Skye durch die Küche. »Wie ist eigentlich euer Treffen gelaufen?«

»Nett.«

»Blöd nett oder ich-werde-ihn-wiedersehen-nett?«

»Wir werden uns wiedersehen.« Skye stellte die Gläser neben dem Spülbecken ab und wandte sich ihrer Schwester zu. »Lass mich raten. Du willst mich warnen, dass er alles nimmt, was er kriegen kann. Dass er dich auch um ein Rendezvous gebeten hat und du die Einzige bist, die ihn wirklich interessiert. Du bist Spaß, und ich bin Pflicht. Die einzige Art für mich, einen Mann abzukriegen, ist, wenn mein Vater ihn mir kauft.«

Izzy presste die Lippen aufeinander. »Ich sage nicht, dass ein Mann dich nicht wollen würde.«

Skye stöhnte. »Izzy, komm schon. Ist es so unmöglich, dass T.J. mich mögen könnte?«

»Magst du ihn?«

»Ich weiß nicht. Er ist... lustig. Mit ihm zusammen zu sein war angenehmer, als ich gedacht hatte.« Er war nicht kompliziert. Sie konnte ihn anschauen, ohne sich gleich die Kleider vom Leib reißen zu wollen. Sie konnte bei ihm sein, ohne von dieser tiefen Sehnsucht erfüllt zu werden, die sie schwach und ausgehöhlt zurückließ.

»Und es stört dich nicht, dass er sich mit uns beiden trifft?«

Skye richtete sich ein bisschen gerade auf. »Nein«, log sie.

»Du glaubst nicht, dass er uns gegeneinander ausspielt?«

»Ich denke, dass du enttäuscht bist, weil er auch mit mir ausgehen will. Und ich glaube, du kannst dir nicht vorstellen, dass er tatsächlich an mir interessiert ist, also wirfst du dich mitten ins Getümmel. Du musst immer etwas Besonderes sein, Izzy. Es geht immer nur um dich.«

Izzy verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich hab nur versucht, nett zu sein«, sagte sie, und in ihrer Stimme klangen Wut und Verletzung mit. »Ich habe mir Sorgen gemacht, weil mir was an dir liegt. Du hast nicht viele Verabredungen, ich aber schon. Ich habe einfach mehr Erfahrungen darin. Aber okay. Denk ruhig, dass ich so schrecklich bin, dass ich meiner Schwester das Glück mit einem Mann nicht gönne. Denk weiter, dass es immer nur um mich geht. Aber wenn ich mit T.J. recht habe - und das werde ich - wirst du diejenige sein, die sich bei mir entschuldigt.«

Mit diesen Worten stolzierte Izzy aus der Küche.

Skye stand am Spülbecken und verspürte eine leichte Übelkeit. Sie wollte sich nicht mit ihrer Schwester streiten. Das war einfach nicht richtig. Aber Izzy war schon immer diejenige gewesen, der die Jungen nachgelaufen waren. Ihre besondere Anziehung auf Männer machte sie aus. Also musste es sie doch stören, wenn Skye ihr einen Platz im Scheinwerferlicht und sei er noch so klein - streitig machte. Oder?

Sie verließ die Küche und ging zur Treppe, als sie ihren Vater rufen hörte.

»Die Feier lief ja ganz gut.« Jed trat aus der Tür zu seinem Arbeitszimmer. »Und du und T.J., ihr habt euch gut verstanden.«

»Nicht sehr dezent, Dad«, erwiderte Skye. »Er ist ein netter Mann, und wir haben einen Abend miteinander verbracht. Wir sind nicht verlobt.« Und es ist auch nicht sehr wahrscheinlich, dass es jemals dazu kommt, dachte sie. Sie konnte nicht noch mehr Herzschmerz in ihrem Leben gebrauchen, davon hatte sie bereits genug. Und sich zu verlieben würde weiterem Leiden doch nur Tür und Tor öffnen.

»Niemand spricht von einer Verlobung«, behauptete Jed.

»Nicht öffentlich, aber wir alle wissen doch, dass du große Pläne hast, mich noch einmal zu verkaufen.«

»Harte Worte, Babygirl. Ich sorge nur dafür, dass es dir an nichts fehlt.«

Wenn das nur wahr wäre, dachte Skye.

»Tatsächlich?«, fragte sie. »Dann macht es dir sicher nichts aus, mir zu sagen, was T.J. hat, was du so gerne hättest?«

Das entspannte Lächeln auf dem Gesicht ihres Vaters verschwand, und seine Züge spannten sich an. »Sei vorsichtig, Skye. Sich mit mir anzulegen hat Konsequenzen.«

Die Verbindung seiner kalten Stimme mit den ebenso kühlen Worten beraubte Skye ihrer Kraft und ihres Willens. Sie konnte kaum aufrecht stehen bleiben. Sogar nachdem ihr Vater in sein Arbeitszimmer zurückgekehrt war, fühlte sie sich schwach - und verängstigt.

Ohne es zu wollen, erinnerte sie sich daran, als sie zehn Jahre alt gewesen war. Es war ein guter Tag, ein fröhlicher Tag gewesen. Die Sonne hatte geschienen. Daran konnte sie sich erinnern. An das Spiel der Sonnenstrahlen auf den Badezimmerfliesen.

Jeden Tag nach der Schule war sie hinauf in die Räume ihrer Mutter gerannt. Nur sie. Izzy blieb mit der Haushälterin in der Küche, aber Skye flog in Prus Zimmer.

»Ich bin zu Hause, Mom«, rief sie. »Hast du mich vermisst?«

Pru lag immer entweder im Bett oder saß in dem Sessel in der Ecke. Sie schaute jedes Mal auf, lächelte und sagte, dass sie Skye mehr als alles andere auf der Welt vermisst hatte. Sogar an den dunklen Tagen, wenn ihr Lächeln nicht ganz echt schien, sagte sie die Worte, als würde sie sie auch so meinen. Als ob sie Skye mehr liebte als alles andere.

Aber an diesem letzten Tag war Pru an keinem der gewohnten Plätze gewesen. Und tief drinnen hatte Skye gewusst, dass etwas ganz furchtbar verkehrt war.

Sie war ins Badezimmer gegangen. Das Erste, was sie gesehen hatte, war das Licht auf den Fliesen. Dann war ihr Blick auf den Brief gefallen ... an sie adressiert. Sie hatte ihn aufgehoben und gelesen.

Er liebt mich nicht, Skye. Jed liebt mich nicht. Egal, was ich tue oder wie sehr ich mich bemühe, er liebt mich überhaupt nicht.

Das war‘s. Diese paar Worte. Skye hatte sie wieder und wieder gelesen, sie nicht verstanden, aber sich von Mal zu Mal mehr gefürchtet.

Irgendwann war ihr dann der süßliche Geruch von Blut aufgefallen. Sie hatte noch nie in ihrem Leben solche Angst gehabt, aber trotzdem konnte sie nicht anders, als zur Badewanne hinüberzugehen.

Darin lag Pru. Vollkommen bekleidet und mit Blut bedeckt. Sie hatte sich beide Pulsadern aufgeschnitten. Ihr Gesicht sieht so friedlich aus - das war Skyes letzter Gedanke gewesen, bevor sie angefangen hatte zu schreien.